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AVIVA-BERLIN.de 3/3/5785 - Beitrag vom 11.10.2008


Erwählung – eine Ausstellung der Künstlergruppe Meshulash
Margret Müller

Im Centrum Judaicum wird die Ausstellung der Künstlergruppe Meshulash vom 12. bis zum 31.10 2008 zu sehen sein. Eine heterogene Auseinandersetzung mit dem nicht einfachen Begriff der "Erwählung".




Erwählung – Wer erwählt eigentlich wen? Wozu? Aufgrund welcher Eigenschaften wird erwählt? Woran ist Erwählung geknüpft?
Erwählung ist keine Schenkung. Sie findet nie ohne Kosten statt, ist immer an eine Bedingung gebunden. Mal wird man aufgrund einer Leistung erwählt, ein anderes Mal kann Erwählung ein Vertrauensvorschuss sein, an den dann aber Auflagen geknüpft sind, sei es die Erwählung zum Professor, zum Nobelpreisträger, die Wahl des Partners, zur Schönheitskönigin oder zum Auserwählten Volk.

Mit der Zweischneidigkeit dieses zunächst so ehrenswert klingenden Begriffes beschäftigt sich die Künstlergruppe Meshulash. Jede ihrer Ausstellungen trägt einen Obertitel, dem sich die Mitglieder der Gruppe von ihrem jeweiligen (künstlerischem) Standpunkt ausgehend nähern. Wichtig ist ihnen dabei, die Individualität und Eigenständigkeit der einzelnen Arbeiten nebeneinander gelten zu lassen.

In der manchmal auch heißblütigen Auseinandersetzung untereinander prägen sich die verschiedenen Positionen und Arbeiten zum selben Thema der Erwählung aus. Sie können sich ergänzen oder auch widersprechen, auf jeden Falle aber bereichert ihr Miteinander.

Meshulash (hebräisch: Dreieck) setzt sich aus mehrheitlich jüdischen Künstlernnen und Intellektuellen aus den USA, Israel, Ost- und Westeuropa zusammen, die der Wunsch vereint, mit ihrer Kunst aktiv auf gesellschaftliche Missstände zu reagieren.

Die sechs KünstlerInnen schlossen sich im Jahr 1991 zusammen. Nach dem Pogrom in Rostock gegen ausländische AsylbewerberInnen suchten sie nach einem Podium, um öffentlich zu gesellschaftlich relevanten Themen Stellung zu beziehen. Sie setzen sich außerdem mit Identitätsfragen auseinander, was jüdisch ist und welche Rolle Religion im 21. Jahrhundert hat. Das Spektrum der KünstlerInnen - Norma Drimmer, Ronnie Golz, Gabriel Heimler, Silke Helmerdig, Mathilde Lafabrie und Salean Maiwald - reicht von traditionell bis reformjüdisch, Berlin ist ihre (Wahl-)Heimat.

"Wir haben und nehmen Anteil an dieser Stadt. Wir sind alle von Berlin begeistert, nicht an Politik interessiert und wollen ein gesundes Verhältnis zur Umwelt" meint Gabriel Heimler. Jüdisches Leben bedeute mehr als Gedenktafeln, Polizeischutz und Klezmermusik, daher suchen sie nach eigenen Wegen, ein vorwärts- statt rückwärts gerichtetes Judentum für sich zu definieren und künstlerisch auszudrücken. Dabei ist auch die Heterogenität innerhalb der Gruppe ausschlaggebend und erwünscht.

Die diesjährige Ausstellung findet anlässlich der diesjährigen Verleihung des "Grant Awards für bildende Kunst" an Meshulash durch die European Association for Jewish Culture statt. Sie wird am 12. Oktober 2008 im Centrum Judaicum eröffnet, Thema ist der ambivalente Begriff der "Erwählung", der in allen drei monotheistischen Religionen zentrale Bedeutung trägt. JedeR der KünstlerInnen und der vier Gäste - Karen Baldner/ Björn Krondorfer, Jaqueline Lipszyc und Sophie Parienté - beschäftigt sich dabei stilistisch und in der Genrewahl unabhängig mit der Bedeutung der "Erwählung", ausgehend von der vermeintlichen Überlegenheit des `auserwählten Volkes´ bis zur persönlichen Bedeutung des Begriffes im Alltag.

Zu den KünstlerInnen

Nora Drimmers Foto- und Filmarbeiten erhalten durch die tiefsinnigen, hochästhetischen Montagen mit großer Liebe zum Detail starke, oft widersprüchliche Aussagekraft. "Auserwählt" zeigt ein in feindlichem Gebiet eingeschlafenen Soldaten, in Montage eingebettet in besinnlich und doch verschmutzt wirkendes Wasser. Die Erwählung wird zur Bürde, zur Überforderung. Im weiteren Rahmen wirft die Montage Fragen nach der Verantwortung des Menschen als erwählte Wächter der Umwelt auf. Brechen wir ihr gegenüber auch erschöpft zusammen?
Nora Drimmers Experimentalfilm "Connected" wurde auf dem Jewish Film Festival 2008 gezeigt, in ihm sind Eindrücke der Stadt Jerusalem verarbeitet. Die einmalige Verflechtung der Gegensätze, von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit, der Kulturen aus Ost und West, von Religion, Politik und Säkularem innerhalb einer Stadt und die damit verbundene Dramatik werden in Staccato-Sequenzen gezeigt und dadurch die Einzigartigkeit, aber auch die Komplexität der `heiligen Stadt´ eindringlich dargestellt.

Der Foto- und Installationskünstler Ronnie Golz setzt sich in seinen Fotomontagen eindringlich mit der Widersprüchlichkeit der Erwählung auseinander. Zu was genau hat Gott die Juden erwählt? Zu Krematorien?
Er montierte die Definition des Begriffes Erwählung von Schriftsteller Günther Anders auf den Hintergrund einer Moses-Skulptur mit Gesetzestafeln und auf Türen von Krematorienöfen und legt so genau diese harte Auslegung des Begriffes "Erwählung" nahe, der der Selektion ähnelt.

Silke Helmerdig näherte sich dem Begriff Erwählung über die Frage seiner unterschiedlichen Bedeutung für Kollektiv und Individuum. Obwohl nicht von der Gesellschaft unabhängig, ist die persönliche Wahrnehmung der Erwähltheit doch eine Frage der Perspektivwahl. In einer beeindruckenden, vielschichtigen Arbeit mit "Licht und Schatten" - durch fotografische Darstellung eines Voids des Jüdischen Museums Berlin mit der Abbildung des eigenen Schattens im Mittelpunkt - wirft sie vielschichtige Fragen nach den persönlichen Konsequenzen der Erwähltheit als Teil des Kollektivs auf.

Der in Paris geborene Gabriel Heimler baut die ambivalente semantische Komponente des Wortes Erwählung ein, der im französischem auch Synonym für "Appell" ist. Ein Mann, inmitten anonymer, nackter, magerer Frauenmasse, ist nicht etwa der "Auserwählte" im Paradies, sondern irgendwie am falschen Ort. Oder vielleicht doch genau am richtigen. Vielleicht ist genau das gerade seine Rettung, am falschen Ort zu sein? Geschieht Erwählung manchmal durch Zufall? Ist es dann noch Zufall?

Die Schriftstellerin und Malerin Salean Maiwald arbeitet vor allem mit Collagen von Kopien, Abbildungen und religiösen Texten. In Erwählung sieht sie "Zwei Seiten einer Münze", der Aufstieg als von Gott erwähltes Volk bedarf der Befolgung des damit verbundenen Regelwerks, der zehn Gebote. An eine Jakobsleiter erinnernd, wirft vor allem der "Aufstieg durch göttliche Erwählung" Fragen auf. Ist dieser Weg zwingend, wünschenswert oder einengend?

Sehr kontrovers ist auch die Darstellung der zehn Gebote von Mathilde Lafabrie. In dem Gemälde "Élu?" sind die zehn Gebote auf hebräisch aufgezeichnet, das sechste Gebot aber auf arabisch. Nun lässt sich fragen, warum gerade das Verbot des Ehebrechens das Universelle, Gemeinschaftsstiftende sein soll, trotzdem zeigt Lafabrie damit, wie ähnlich die ethische Basis der Religionen ist. Umso paradoxer und bedrückender, dass genau Religion oft als Rechtfertigung und Alibi für Hass und Krieg missbraucht wird.


Die Künstlergruppe Meshulash zeigt – "Erwählung"
12. bis 31. Oktober 2008
Veranstaltungsort:
Centrum Judaicum
Oranienburger Str. 28-30
10117 Berlin
Öffnungszeiten: Mo, Di, Mi, Do, So 10–18 Uhr
Eintritt: 3 Euro, erm. 2 Euro
Centrum Judaicum


Eröffnung:
Sonntag, 12. Oktober 2008 um 11 Uhr
Eröffnungsreden:
Lena Stanley-Clamp (Direktorin EAJC)
Dr. Chana Schütz (Stellv. Direktorin Centrum Judaicum)
Norma Drimmer (Film- und Fotokünstlerin)


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Beitrag vom 11.10.2008

AVIVA-Redaktion